Ekkehard W. Haring ist seit über einem Jahr als DAAD-Lektor an der Universität Athen, Fachbereich Literatur und Sprache tätig, nachdem er als DAAD-Lektor an tschechischen und slowakischen Universitäten mehrere Jahre tätig war. GRIECHENLAND AKTUELL sprach mit Ekkehard Haring, dessen Forschungsschwerpunkte Franz Kafka, Max Brod, Karl Krauss u.a. und die Literatur der Prager und Wiener Moderne ist:

Der Deutsche Akademische Austauschdienst ist eine Vereinigung der Hochschulen und Studentenschaften in der Bundesrepublik Deutschland. Als Mittlerorganisation der auswärtigen Kultur- und Wissenschaftspolitik fördert er den internationalen akademischen Austausch. Sie sind im Rahmen des DAAD in Griechenland seit über einem Jahr tätig. Möchten Sie uns von dem DAAD und Ihren universitären Tätigkeiten erzählen? Was ist Ihr besonderes Arbeitsfeld?

Was das Betätigungsfeld des DAAD betrifft, kann ich hier natürlich nur in groben Umrissen skizzieren: Es handelt sich um die weltweit größte Förderorganisation dieser Art – jedes Jahr werden ca. 100 000 deutsche und internationale Studierende wie auch Wissenschaftler gefördert. Dafür gibt es eine Reihe von Austauschprogrammen, die ganz unterschiedliche Förderziele verfolgen: Vom dreiwöchigen Sprachkurs an einer deutschen Hochschule bis hin zum ambitionierten Forschungsprojekt an einer Gastuniversität wird so ziemlich alles gefördert, nicht zuletzt Studienaufenthalte und Promotionsvorhaben. Eines der wichtigsten Ziele des DAAD besteht also in der Internationalisierung deutscher Hochschulen – im Austausch mit Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen im Ausland. Daneben wird mit besonderen Programmen der Aufbau von Bildungssystemen in Entwicklungsländern unterstützt. Und nicht zu vergessen: Der DAAD fördert gezielt die Germanistik im Ausland. Unter anderem mit einem eigenen Lektoren- und Dozentenprogramm, dem auch ich angehöre.

Wer sich für ein bestimmtes DAAD-Lektorat bewirbt, muss ein recht langwieriges Auswahlverfahren durchlaufen, in dem sichergestellt wird, dass der oder die Kandidat/in auch die gewünschten Anforderungen der Gastuniversität erfüllt. Die Aufgabenprofile sind natürlich von Institut zu Institut sehr verschieden, und sollten sich auf sinnvolle Weise mit den fachlichen Schwerpunkten der Bewerber decken. In meinem Fall waren vor allem die wissenschaftliche Forschung und Lehre – und wohl auch meine Erfahrungen in früheren Lektoraten – ausschlaggebend. Die literaturwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen, die ich hier an der Universität in Athen halte, sind im Grunde genommen identisch mit meinen eigenen Schwerpunktthemen: deutschsprachige Literatur des 18. – 20. Jahrhunderts, Wiener Fin de siècle, Prager Moderne, Kafka …

Neben der Lehre und Forschung gehören vor allem die Organisation von Kulturveranstaltungen – Lesungen, Konferenzen, Ausstellungen – sowie die DAAD-Stipendienberatung zu meinen Arbeitsfeldern.

Jedes Jahr ermöglicht der DAAD Stipendiaten aus Deutschland – vom Studierenden bis zum Hochschullehrer – einen Aufenthalt in Griechenland. Gleichzeitig erhalten Geförderte aus Griechenland die Möglichkeit, in Deutschland zu studieren, zu lehren oder zu forschen. Wie sieht es heute in der Krisenzeit aus?

Das lässt sich schwer beantworten. Jeder hat ja eigene Strategien, mit der Krise umzugehen, und das Verhältnis zu Deutschland – oder zur deutschen Sprache – ist auch ein gewichtiger Faktor dabei. Ob jemand den Schritt ins Ausland geht, um dort zu studieren, zu forschen oder zu lehren, ist sicher auch ganz wesentlich von den persönlichen Gegebenheiten – Einstellungen, Qualifizierungen, familiärer Hintergrund, sprachliche Fähigkeiten, Berufsperspektiven … u.s.w. – abhängig. Für Studierende der Ingenieurwissenschaften führt der Weg sehr oft über Deutschland, und das unabhängig von der Krise; in anderen Bereichen, z.B. der IT-Branche sind die USA sicherlich gefragter. Doch muss man genau hinschauen, da inzwischen nicht nur an den traditionell angesagten Lokalitäten gute Voraussetzungen anzutreffen sind. Die Entwicklung ist nicht stehengeblieben und viele Hochschulen bieten eigene, mitunter sehr interessante Studiengänge an. Heutige Ausbildungs- und Forschungsprofile orientieren sich eben auch an Schnittstellen verschiedener Bereiche, denken wir nur an „Computerlinguistik“, „Wirtschaftsinformatik“ oder andere Kombinationen. Auch das Bauingenieurwesen und der Maschinenbau sind längst nicht mehr nur auf klassische Ausbildungsstrecken fokussiert, sondern beschäftigen sich inzwischen mit Nanotechnologie oder Biowissenschaften. Hier entstehen völlig neue Betätigungsfelder.

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Grundsätzlich ist heutzutage eine akademische Karriere ohne Auslandsaufenthalt nur noch schwer vorstellbar. Die Krise in Europa hat dafür gesorgt, dass der Arbeitsmarkt dramatisch angespannt bleibt. Die Situation ist eigentlich paradox: Einerseits fordert die Wirtschaft mehr hochqualifierte Fachkräfte, andererseits wächst die Zahl arbeitsloser Akademiker. Es geht also vor allem darum, dem erreichten Hochschulabschluss durch zusätzliche Kompetenzen und Erfahrungen ein besonderes Gewicht zu verleihen. Dementsprechend ist auch das Interesse an DAAD-Stipendien gestiegen – in einigen Ländern liegen die Bewerberzahlen so hoch wie nie zuvor. Für Griechenland kann man das allerdings nicht ganz so eindeutig behaupten, denn die Nachfrage bei Studierenden ist von Fachbereich zu Fachbereich doch sehr unterschiedlich. Studierende der Geisteswissenschaften, allem voran der Germanistik suchen z.B. diese Chance viel zu wenig – dabei wäre ein Aufenthalt als Stipendiat in Deutschland für sie zweifellos von großem Nutzen. Bei meiner Arbeit als Dozent an der Philosophischen Fakultät Athen treffe ich immer wieder auf begabte Studierende, die sich trotz guter Voraussetzungen und sichtlichen Interesses vor einer Bewerbung scheuen. Das ist etwas, das mich sehr irritiert. Aber sicherlich erfordert so ein Schritt auch eine gewisse Unabhängigkeit oder Selbständigkeit, die in unsicheren Zeiten, in denen viele Familien enger zusammenrücken, nicht immer leicht zu vertreten ist.

Dazu ließe sich noch vieles sagen. Um jedoch wieder auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, sollten wir eines nicht aus dem Blick verlieren: Die Möglichkeiten als Stipendiat ins europäische Ausland zu gehen, bestehen nach wie vor unverändert – und nicht zuletzt sind die Förderprogramme des DAAD in Griechenland weitgehend krisenresistent geblieben. Mit anderen Worten: Es gibt noch Chancen – unabhängig von der Krise – es kommt darauf an, sie zu ergreifen.

Wie würden Sie aus Ihrer Sicht die deutsch-griechischen Beziehungen heute bewerten? Haben Sie in Ihrem Alltag „schlechte Erfahrungen“ gemacht?

Wirklich schlechte Erfahrungen sind mir bislang erspart geblieben. Im Gegenteil: Es gab viele Erlebnisse und Begegnungen, die mich positiv berührt haben. Aber ich müsste natürlich lügen, wollte ich alles nur schönreden. Es ist ja nicht zu übersehen, dass es Probleme gibt. Die entscheidende Frage ist, wie geht man damit um. Versucht man sich daran zu gewöhnen – oder geht man ihnen aus dem Weg. Schüttelt man besserwisserisch den Kopf – oder versucht man sie zu verstehen? Betrachtet man die Probleme als symptomatisch oder nebensächlich, als persönliche Sorge oder als fremdes Leid?

Aus deutscher Sicht mag vieles an der „Griechenlandkrise“ unnötig und vermeidbar erscheinen: So etwas würde in Deutschland natürlich nicht möglich sein, wird behauptet. Aber auch die Deutschen haben keinen Generalschlüssel, um Probleme oder Krisen auszuschließen – weder für Deutschland noch für Europa. Wenn es überhaupt „Schlüssel“ gibt, so lassen sie sich wohl nur auf der Ebene des gemeinsamen Dialogs, des Austauschs, und nicht in der Rhetorik nationaler Abgrenzung finden. In dieser Hinsicht könnte ja auch der Austausch von Wissenschaftlern und Studierenden eine sinnvolle – um nicht zu sagen Schlüssel-Funktion übernehmen. „Wandel durch Austausch“ heißt das beim DAAD – und ich füge hinzu: im beiderseitigen Interesse.

Im Moment wird das deutsch-griechische Verhältnis leider oft nur thematisiert, um Gegensätze zu betonen. Dabei vergisst man zu erwähnen, wie eng beide Seiten miteinander über lange Zeiträume verbunden, ja verwachsen sind – ob man das nun wahrhaben möchte oder nicht. Die Verbindungen bestehen in den unterschiedlichsten Erfahrungswelten und reichen bis in den Alltag und das Berufsleben der Menschen hinein. Ich begegne täglich Personen, die im zweisprachigen deutsch-griechischen Kontext ganz normal leben, und diese Beziehung niemals in Frage stellen würden.

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Daher glaube ich auch nicht, dass die deutsch-griechischen Beziehungen sich auf das reduzieren lassen, was aus aktuellen Anlässen immer wieder als Schlagzeile in den Zeitungen zu lesen ist. Das ist doch oft sehr kurzsichtig, grob und polemisch – und sagt im Grunde mehr aus über die Verfasser und Leser des Schlagzeilenformats als über den Gegenstand an sich. Wie jede enge Beziehung hat auch die deutsch-griechische Beziehung ihre lange und wechselvolle Geschichte. Wir Deutschen verdanken den Griechen keineswegs nur unvergessliche Sommerurlaube am Meer, sondern auch die tatkräftige Unterstützung am „deutschen Wirtschaftswunder“. Und vergessen wir nicht, dass selbst die Sternstunden deutscher Kulturgeschichte – von der Aufklärung bis zur Weimarer Klassik – griechisch inspiriert waren: Unser kollektives kulturelles Bewusstsein beruht gewissermaßen auf der Fiktion eines Griechenlands, das für Goethe, Schiller, Hölderlin, Kleist, Wieland u.v.a. gleichsam utopischer Gegenentwurf zu den kümmerlichen Verhältnissen in Deutschland war. Und in umgekehrter Perspektive haben Deutsche ja auch nicht nur Krieg und Zerstörung über Griechenland gebracht … Wollte man die Beziehung beider Länder wirklich in ihrer Vielfalt betrachten, so braucht es komplexere Darstellungsformen, um zu Antworten zu gelangen. Die Literatur könnte sicherlich Abhilfe schaffen und tut es auch. Aber nicht nur Schriftsteller, Künstler und Historiker sind hier gefragt, sondern vor allem offene Ohren und die Bereitschaft sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.

Welche Vorhaben, welche künftige Projekte haben Sie für Ihre nächste Zeit hier in Griechenland geplant?

Die Arbeit im Bereich der Literatur lässt der Fantasie natürlich viel Spielraum für Projektplanungen, die leider allzu oft an den finanziellen Mitteln scheitern. Wichtig ist daher zunächst, zu einer realistischen Einschätzung zu gelangen, was möglich ist. Inzwischen habe ich einige Erfahrungen gesammelt und weiß, wen ich ansprechen kann und wo ich evtl. Unterstützung finde. Glücklicherweise gibt es in Athen ein sehr dichtes Netzwerk von Künstlern, Kulturvermittlern, Vereinen und Menschen, die etwas bewegen möchten. Auf diese Synergien würde ich gerne zurückgreifen bei meinen Vorhaben.

Die deutschsprachige Literatur ist – anders als in Frankreich, England oder in den USA – hierzulande kaum bekannt. Das gleiche gilt übrigens auch für griechische Literatur in deutschsprachigen Ländern. In dieser Hinsicht würde ich gerne ein paar Akzente setzen. In Vorbereitung ist augenblicklich das Projekt eines Lesefests, das im Frühjahr nächsten Jahres stattfinden soll. Im Mittelpunkt werden Verlage stehen, die deutsch-griechische Literatur herausgeben oder im weiteren Sinne Sprache und Kultur vermitteln. Neben den Verlagspräsentationen sind Autorenlesungen und andere Veranstaltungen vorgesehen.

Darüber hinaus würde ich auch gerne eine jährlich stattfindende Poetik-Vorlesung initiieren. Wobei sich „Poetik“ nicht auf rein literarische Aspekte beziehen soll, sondern vor allem auf das „Machen“, also auf künstlerische Impulse, die unseren Begriff von Europa aktiv mitgestalten oder etwas bewegen. Ich glaube, dass das ein wichtiges Signal ist – und Athen wäre der richtige Ort dafür.

Und noch ein drittes Vorhaben, das mich speziell als Kafka-Forscher antreibt: Ich stelle immer wieder fest, dass Kafka in Griechenland kaum oder nur eingeschränkt verbreitet ist. Das ist erstaunlich für einen Autor von weltliterarischem Rang. Es fehlt sowohl an umfassenden Werkübersetzungen, als auch an Biografien und vermittelnden Darstellungen. Andererseits gibt es ein spürbares Interesse an diesem Autor gerade unter jungen Leuten. Ein Ansatz könnte darin bestehen, gemeinsam mit Autoren, Verlagen, Literaturwissenschaftlern und Übersetzern nach Möglichkeiten einer sinnvollen Vermittlung zu suchen. In weiterer Hinsicht wäre auch eine Kafka-Konferenz in Athen sehr vielversprechend – einige Forschungszentren haben dafür bereits ihre Unterstützung signalisiert – aber das ist im Moment noch Zukunftsmusik.