Griechenland Aktuell sprach mit Ingo Držečnik, Leiter des Berliner Elfenbein Verlags, über die kleinen, unabhängigen Verlage im heutigen Deutschland, über die „Kleine Griechische Bibliothek, über die deutsch-griechischen Beziehungen: 

1.  Erzählen Sie uns von Ihrer Lebensentscheidung, aktuelle, neugriechische Literatur in Deutschland zu veröffentlichen. Ich meine damit die „Kleine Griechische Bibliothek“, die dieses Jahr mit zwei Juwelen zeitgenössischer griechischer Literatur bereichert wurde: Mit dem Riesenwerk „Odyssee“ von Nikos Kazantzakis und den Gedichten von Giorgos Seferis.

Ich empfinde die Entscheidung, griechische Literatur zu verlegen, als nicht so groß, wie Sie es bezeichnen. Eine „Lebensentscheidung“ ist sie sicher nicht, wenngleich sie dennoch mein Leben seit dem Jahr 2000 beeinflusst. Damals entschied ich mich, Odysseas Elytis’ Hauptwerk „To Axion Esti — Gepriesen Sei“ in der Übersetzung von Günter Dietz neu aufzulegen. Das Buch war über drei Jahrzehnte zuvor schon einmal auf Deutsch erschienen, lange bevor die Welt von Elytis überhaupt recht Notiz nahm, lange vor seinem Nobelpreis von 1979 also. Als Griechenland dann Gast auf der Frankfurter Buchmesse werden sollte, beschloss ich, dieses Buch in einer vollständig durchgesehenen — und erstmals auch zweisprachigen — Ausgabe neu herauszubringen. Auch das Buch „Zwölf und eine Lüge“ des zeitgenössischen Autors Alexander Adamopoulos nahm ich ins Programm. Und dieses Konzept, Klassiker und Zeitgenossen gleichermaßen zu publizieren, habe ich dann in den vergangenen Jahren weiterzuführen versucht — neben anderen Projekten anderer Literaturen natürlich, der Elfenbein Verlag ist ja kein genuin auf die griechische Literatur spezialisiertes Haus. Mittlerweile ist die „Kleine Griechische Bibliothek“ aber auf elf Bände angewachsen. Zur letzten Buchmesse erschienen die „Logbücher“ von Giorgos Seferis in Andrea Schellingers Übersetzung und gerade eben die „Odyssee“ von Nikos Kazantzakis in der Übersetzung von Gustav A. Conradi. Dieser umfangreiche Band war schon einmal 1973 auf Deutsch erschienen, aber im Grunde damals kaum beachtet worden und seit Jahrzehnten nicht mehr erhältlich, infolgedessen auch praktisch unbekannt. Kazantzakis wird in Deutschland ja praktisch nur als Autor des „Alexis Sorbas“ wahrgenommen. Ich hoffe, das wird sich nun änder

2. Erzählen Sie uns über Ihr Lebenswerk, über den kleinen, aber unabhängigen „Elfenbein Verlag“.

Der Verlag ist aus dem Projekt einer kleinen studentischen Literaturzeitschrift, den „metamorphosen“, heraus entstanden, die ich zusammen mit meinem Studienfreund Roman Pliske in den neunziger Jahren in Heidelberg herausgab. Wir beide hatten das Gefühl, dass insbesondere ein Lyriker, dessen Gedichte wir in dieser Zeitschrift veröffentlichten, es verdient habe, ein eigenes Büchlein zu bekommen, und so haben wir den Elfenbein Verlag gegründet, gewissermaßen nur für dieses eine Projekt: „Unterderhand“ von Andreas Holschuh. Zu jenem Zeitpunkt gab es noch gar keine weiteren Publikationspläne. Aber kaum war das Buch erschienen, erhielten wir natürlich Zuschriften mit Romanmanuskripten, dann auch Übersetzungsvorschläge, und mit dem Erzählband „Das Haus am Rande des Dorfes“ des portugiesischen Schriftstellers José Riço Direitinho begannen wir uns auf das weite Feld der Weltliteratur zu wagen. Nach dem Studium versuchten wir dann das Unternehmen auf stabilere Füße zu stellen, wir planten weiter in die Zukunft, z. B. mit der Werkausgabe des expressionistischen Dichters Klabund. Mit den Jahren sind nun über 200 Titel entstanden, und in Elfenbeins Regalen stehen Bücher der Renaissancepoeten Luís de Camões und Pierre de Ronsard neben Autoren der Jahrhundertwende (z. B. Gabriele D’Annunzio, Guido Gozzano und Marcel Schwob) und zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren wie Alban Nikolai Herbst und Rainer Kloubert. Und mit der Übersetzung des 12-bändigen Romanzyklus „Ein Tanz zur Musik der Zeit“ des Engländers Anthony Powell habe ich seit 2015 einen sehr großen Erfolg erzielen können, der dem Verlag finanzielle Rückendeckung gibt — auch und gerade für auf dem Buchmarkt doch eher schwieriger zu platzierende Lyrik. Genauso dann letztlich auch die „Kleine Griechische Bibliothek“ von diesem Erfolg profitieren, ich weiß nicht, wie ich sie hätte sonst finanzieren können, denn Unterstützung für Übersetzungen und Publikationen aus dem Griechischen gibt es ja praktisch keine.

3. Haben Sie den Eindruck, dass Sie einen Beitrag leisten, was die ohnehin schwierigen deutsch-griechischen Beziehungen anbelangt, die von so vielen Stereotypen belastet werden?

Das müssen andere beurteilen, ob mein Beitrag, der griechischen Literatur eine deutsche Stimme zu geben (wobei das ja streng genommen meine Übersetzer tun, ich versuche nur, deren Übersetzungen zu verbreiten), in dieser von Ihnen genannten Weise wirken könnte. Aber grundsätzlich glaube ich schon, dass die Rezeption von Literatur ganz gleich welcher Sprache ein großes Stück weit zum gegenseitigen Verständnis der Kulturen beiträgt. Wo sonst, wenn nicht in der Literatur, kann man auf so einfache Weise in andere Welten eintauchen? Zudem bin ich nicht davon überzeugt, dass die genannten Stereotype wirklich so stark wirken, wie Sie mit Ihrer Frage suggerieren. Es sind ja eben „nur“ Stereotype, sie entlarven sich als solche meist ganz schnell. In letzter Zeit ist ja von manch lautem Deutschen viel Unsinn über Griechenland gesagt worden — aber auch in Griechenland über uns Deutsche. Es geht da praktisch immer nur um irgendwelches Geld. Ich nehme das nicht besonders ernst. Wer sich mit der griechischen Geschichte, Kunst, Literatur beschäftigt, wird den Unsinn ganz leicht erkennen — und umgekehrt, in Griechenland, genauso. Auch Deutschland und seine Literatur ist ja nicht durch irgendwelches Geld identifizierbar.  

4. Wie sehen heute die deutsch-griechischen Beziehungen aus, aus Ihrer deutschen Sicht, nachdem sie während der sogenannten Finanzkrise so gelitten haben?

Ich bin Verleger, kein Politiker, und von den großen Finanzfragen verstehe ich leider zu wenig. Aus meinem Blickwinkel betrachtet, haben sich die deutsch-griechischen Beziehungen durch die sogenannte Finanzkrise nicht grundsätzlich geändert. Es gibt hierzulande ein Interesse an griechischer Literatur, wenngleich dies sicherlich in der Vergangenheit intensiver war. Das hängt auch damit zusammen, dass die großen Verlage sich seit einiger Zeit nicht mehr so intensiv um sie kümmern. Aber das kann man im Grunde doch generell für die meisten „kleineren“ Sprachen sagen — und „klein“ ist hier natürlich nur hinsichtlich der Zahl ihrer Sprecher gemeint: Sie haben es nicht leicht, sich auf einem Buchmarkt, der von Übersetzungen aus englischsprachigen Literaturen bestimmt ist, zu behaupten. Es geht doch der katalanischen, portugiesischen, tschechischen, ungarischen Literatur in deutschen Übersetzungen ganz genauso wie der griechischen: Die großen Namen sind womöglich bekannt (meist sogar nur ein einziger!), aber ein Wissen von der Bandbreite fehlt. Der deutschen Literatur geht das im Übrigen anderswo ganz genauso. Überall auf der Welt liest man eben vornehmlich Übersetzungen aus dem Englischen. Eines ist aber bei den Katalanen, Portugiesen, Tschechen und Ungarn, um diese noch einmal zu nennen, weil Elfenbein sie ja auch im Programm führt, anders als bei den Griechen: Diese Nationen unterstützen ihre Autoren durch großzügige Übersetzungsförderungsprogramme, die die Risiken der deutschen Verleger zu mindern helfen. Das ist ein großer Vorteil. Hier sollte sich meines Erachtens Griechenland — bei allen Sparzwängen, die es sicherlich gibt — vielleicht ein Beispiel nehmen. Denn die Unterstützung von Übersetzungen ist ja eine sinnvolle Investition in alle zukünftigen Beziehungen.

(ΑL)