Fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod ist Nikos Kavvadias bei den Griechen beliebter denn je. Durch seine Gedichte begleiten sie ihn auf seine Seereisen und werden Zeugen seiner Abenteuer auf hoher See sowie der Erlebnisse seiner unkonventionellen Seele.

Nikos Kavvadias wurde 1910 in einer kleinen Stadt in der Mandschurei in der Nähe von Harbin als Sohn griechischer Eltern von der Insel Kefalonia geboren. Als er noch ein kleines Kind war, kehrte seine Familie nach Griechenland zurück. Sie blieben einige Jahre in Kefalonia und zogen dann von 1921 bis 1932 nach Piräus, wo Kavvadias seine Schulausbildung abschloss. In der Schule schrieb er seine ersten Gedichte. 1929 begann er in einem Schifffahrtsbüro zu arbeiten und fand einige Monate später Arbeit als Matrose auf einem Frachtschiff. Einige Jahre lang arbeitete er weiter auf See und kehrte schließlich mittellos und erschöpft nach Hause zurück. Anschließend begann er eine Ausbildung zum qualifizierten Funker. Ursprünglich wollte er Schiffsführer werden, aber er hatte bereits zu lange auf See verbracht, um diesen langen Karriereweg zu beginnen. 1939 erhielt er das Diplom des Funkers, aber dann brach der Krieg aus und er nahm am Albanienfeldzug gegen die Italiener teil und schloss sich danach dem griechischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung an. Anschließend saß er in den Jahren der nationalsozialistischen Besatzung in Athen fest und konnte erst 1944 zur See zurückkehren. Er reiste ununterbrochen, diesmal als Funkoffizier bis November 1974, als er in den Ruhestand ging. Die Erfahrungen auf See und die exotischen Häfen, die er besuchte, wurden zum Material für seine Gedichte. Als er von seiner letzten Reise zurückkehrte und sich auf die Veröffentlichung seiner dritten Gedichtsammlung vorbereitete, starb er am 10. Februar 1975 an einem Schlaganfall.

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Bild: Nikos Kavvadias/ Quelle: ERT

Seine erste Gedichtsammlung, Marabou, wurde 1933 veröffentlicht, als Kavvadias Anfang zwanzig war, und trägt den Geist eines romantischen jungen Mannes, der von den Wundern der Welt beeindruckt ist. Die meisten Gedichte erzählen halb-fiktive Geschichten, die sich auf See und in den verschiedenen Häfen, die Kavvadias während seiner Reisen besuchte, abspielten. Die Sammlung beginnt mit einem Gedicht in der ersten Person über die tragische Liebe des Autors zu einem jungen reichen Mädchen, das er an Bord kennengelernt hat und das später als arme Prostituierte endete, die er kaum wiedererkennen konnte. Andere Gedichte erzählen die Geschichten eines norwegischen Kapitäns, der an Heimweh litt und starb, als er ein auf den Lofoten segelndes Schiff beobachtete oder eines Messers, der den Fluch trug, dass sein Besitzer jemanden töten soll, den er liebt. Künstlerisch wurde er von der französischen Literatur und dem Dichter Charles Baudelaire beeinflusst, den er in vielen seiner Werke erwähnt. Die Poesie von Kavvadias ist auch von einem tiefen Gefühl der Nostalgie geprägt.

Neben ‚Marabu‘ wurden zwei weitere Gedichtsammlungen mit den Titeln ‘Nebel‘ (1947) und ‘Traverso‘ (1975) sowie zwei Kurzgeschichten, ‚Li‘ (1987) und ‚Vom Krieg/ Auf meinem Pferd‘ (1987), veröffentlicht. Seine Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs beeinflussten ihn zutiefst und infolgedessen wurden seine späteren Arbeiten zunehmend politischer und unterstützten die linken Bewegungen sowohl in Griechenland als auch auf der ganzen Welt.

Sein einziger Roman ‘Die Schiffswache’ – der auch in deutscher Übersetzung vorliegt – wurde 1954 veröffentlicht und erzählt die Geschichten der Seeleute in ihrer Nachtschicht an der Schiffsbrücke. Bilder von exotischen Orten, Prostituierten, verrückten Kapitänen und Erinnerungen an den Krieg verschmelzen zu einer verträumten Welt, teils fiktiv, teils wahr. Kavvadias führt uns mit seinem Alter Ego, dem Erzähler des Romans, dem Funker Nikolas, durch die verrufene Viertel der Hafenstädte, durch seine schwach beleuchtete Welt, ohne sich zu scheuen vom Schrecklichen sowie vom Banalen zu berichten.

Kavvadias war sowohl von Baudelaire als auch von den ‚verfluchten Dichtern‘ (poètes maudits) stark inspiriert und beobachtete aus dieser Sichtweise seine Meeresumwelt. Das schwierige Leben des Seemanns, die tägliche Arbeit, aber auch die Freiheit des Auges, über neue Horizonte zu reisen, die durch die immer längeren und mutigeren Reisen, die er unternahm, eröffnet wurden, prägen sein gesamtes poetisches Werk. Seine Figuren werden oft von Apathie, Verfall, Dekadenz oder sogar Selbstzerstörung geprägt. Er selbst hat sich das Vagabundenleben ausgesucht, von Hafen zu Hafen, Ozean zu Ozean; ein Leben, das in Zusammenhang mit den Freuden der opportunistischen Liebe und den lähmenden Wirkungen von Substanzen steht.

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Nikos Kavvadias, Thanos Mikroutsikos/ Bildquelle: Nikos Kavvadias FBSeite

Sein literarisches Werk wurde nach seinem Tod weithin anerkannt. Kavvadias ist vorwiegend durch seine Gedichte bekannt und beliebt worden, besonders mit denen, die vom renommierten Komponisten Thanos Mikroutsikos vertont und unter den Titeln ‘Das Kreuz des Südens’ und ‚Horizontlinien‘ herausgegeben wurden. Mikroutsikos hielt Kavvadias nicht für einen Lyriker des Meeres und der Seeleute, sondern für einen Dichter, der von Freiheit, vom Wert des Umsturzes sowie von der Kraft des Lebens ohne Konventionen sprach.

Introbild: Nikos Kavvadias/ Quelle: ERT

EG

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