Neulich hat die Generalversammlung der Welttourismusorganisation (UNWTO) in Madrid das traditionelle griechische Dorf Soufli als eines der besten Tourismusdörfer des Jahres 2021 ausgezeichnet. Soufli ist eine kleine Stadt in der regionalen Einheit Evros, die über die Grenzen Griechenlands wegen ihrer handgefertigten Seide bekannt ist; eine Industrie, die dort im 19. Jahrhundert florierte. Die Stadt liegt am Osthang des Zwillingshügels des Propheten Elias, einem der östlichsten Ausläufer des Rhodopengebirges. 

Über Jahrhunderte wurden dort Seidenraupen gezüchtet, wurde Seide gewebt und gefärbt. Die traditionsreiche Branche in der Region Thrakien hatte bereits in den 1990er Jahren zu kämpfen, als der Markt von billigerer chinesischer und indischer Seide überschwemmt wurde. 

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Bildquelle: www.piop.gr/ 

Geschichte

Ab dem 19. Jahrhundert wurde Soufli zum Verwaltungszentrum einer reichen Provinz mit fast 60.000 Einwohnern, die sich zu beiden Seiten des Evros-Tals erstreckte. Als einer der wenigen Ballungsräume der Region wurde Soufli zu einem wichtigen Handelszentrum. Zwischen 1870 und 1880 entwickelte sich Soufli bedeutend. Der Bau der Eisenbahn und des Bahnhofs (1872) trug zu seiner wirtschaftlichen Entwicklung bei. Gleichzeitig trug Louis Pasteurs Entdeckung einer Methode zur Bekämpfung von Kokonkrankheiten zur rasanten Entwicklung der Seidenraupenzucht bei. Zwischen 1877 und 1908 verdreifachte sich die Einwohnerzahl von Soufli.

Neben seiner Bedeutung als Handelsplatz wurde Soufli auch als bedeutendes Handwerkszentrum anerkannt. Die Stellmacher der Stadt, die die ganze Region Thrakien mit Ochsenkarren versorgten, die für ihre außergewöhnliche Stabilität bekannt sind. Der zweitwichtigste Wirtschaftszweig in Soufli war neben der Seidenraupenzucht der Weinbau. Die Weinproduktion in Soufli betrug im 19. Jahrhundert knapp 2.000.000 Liter. Die Entwicklung der Seidenraupenzucht und die anschließende Verbreitung des Maulbeerbaumanbaus führten jedoch zu einer Verringerung der Rebfläche. Die Seidenraupenzucht war zwar beliebt, aber nicht die einzige Beschäftigung. Es galt eher als Nebenerwerb und Saisonbeschäftigung. Es war in jedes Haus in Soufli eingedrungen, beschäftigte in den beiden Monaten Mai und Juni Bauern, Kaufleute und Handwerker und sorgte für ein beachtliches Einkommen.

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Bildquelle: www.piop.gr/

Die Balkankriege und der darauffolgende Erste Weltkrieg verwandelten die Region Thrakien in einen Kriegsschauplatz, was zur Krise der Seidenraupenzucht und zum allgemeinen Niedergang der Region bis 1920 führte. Die Eingliederung von Soufli in Griechenland im Jahr 1922 signalisierte den weiteren wirtschaftlichen Niedergang der Region, denn der Verlust des Landes am östlichen Flussufer des Evros und der anschließende Bevölkerungsrückgang in der Provinz Soufli führten zum Schwinden des lokalen Marktes und damit zur Einschränkung der Handels- und Handwerksaktivitäten der Stadt. So wurde Soufli vom ehemaligen Durchgangs- und Handelsplatz in Grenzland mit allen nachfolgenden Nachteilen verwandelt. Darüber hinaus entzog die Teilung Thrakiens Soufli einen großen Teil seiner Ländereien am östlichen Flussufer des Evros, die in türkischen Besitz übergingen. Nach der Eingliederung von Soufli in Griechenland blieb die Seidenraupenzucht die wichtigste Einnahmequelle der Einwohner. Der Anbau von Weizen, Mais und Roggen sicherte die Selbstversorgung der Stadt mit Nahrungsmitteln, und die Bewohner nutzten den Leerraum zwischen Maulbeerbäumen und pflanzten hauptsächlich Hülsenfrüchte und anderes frühes oder spätes Getreide an.

Heute sind in der Stadt viele alte Herrenhäuser zu finden, die vom wirtschaftlichen Wohlstand zeugen, den Soufli im 19. Jahrhundert und bis zur Hälfte des letzten Jahrhunderts hatte. Einige alte „Koukoulospita“ („Kokonhäuser“) wurden renoviert und in Herbergen oder Kulturzentren umgewandelt, wobei es auch neue Versuche gibt, die Seidenproduktion in der Stadt wiederzubeleben.

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Bildquelle: www.piop.gr/ 

Seidemuseen

Das ältere Seidenmuseum in Soufli gehört zum Netzwerk der Kulturstiftung der Piraeus Bankgruppe (PIOP). Es ist im Herrenhaus Kourtidis (1883) untergebracht und wurde 1990 eingerichtet. Das alte Herrenhaus Kourtidis und das zweistöckige “koukoulospito“ (Kokonhaus), um einen Innenhof herum, bilden heute den Museumskomplex. Die Dauerausstellung präsentiert die vorindustriellen Techniken der Seidenraupenzucht und des Seidenwebens. Es befasst sich auch mit der sozioökonomischen Bedeutung dieser Aktivitäten für Soufli und Umgebung. Die Ausstellung gliedert sich in vier Einheiten mit 46 Exponaten aus Dokumentations- und Informationsmaterial (Texte, Fotografien, Zeichnungen, Karten) und traditionell mit Seidenraupenzucht und Seidenweberei verbundenen Gegenständen.

Die erste Ausstellungseinheit erzählt die Geschichte der Seide im Laufe der Zeit, beginnend mit China, über das antike Griechenland, Rom und Byzanz bis hin zur westlichen und osmanischen Zeit. In der zweiten Ausstellungseinheit werden die Etappen der Seidenraupenzucht von der Herstellung des „Seidensamens“ bis zum Ersticken der Kokons vorgestellt. Die dritte Ausstellungseinheit widmet sich der Seidenherstellung, von der Reinigung und Sortierung der Kokons bis hin zum Weben der feinen Seiden, die Soufli einst produzierte. Die vierte Ausstellungseinheit befasst sich mit den sozioökonomischen Rahmenbedingungen, in denen sich die Seidenweberei im 19. und 20. Jahrhundert in Griechenland und im übrigen Europa entwickelte, mit besonderem Bezug auf den Aufstieg und Niedergang der Seidenindustrie in Soufli und ihren Beitrags zur Entwicklung der Stadt.

Die Drucksachen des Seidenmuseums bestehen aus einem Faltblatt bzw.Poster und einer Monografie mit dem Titel Seidenraupenzucht in Soufli. Das Museum bietet auch einzigartige Trachten aus Soufli und Accessoires der Trachtenkleidung sowie beeindruckende zeitgenössische Kostüme aus der chinesischen Oper, die Teil einer Sammlung sind, die der Stiftung von der Botschaft der Volksrepublik China im Mai 2018 geschenkt wurde. Im Rahmen des MELINA-Projekts (Kulturministerium, Benaki-Museum) wurde für die ersten Klassen der Grundschule ein Bildungsprogramm mit dem Titel „Ein Kokon entrollen …“ vorbereitet, das sich mit der traditionellen Seidenraupenzucht und der Seidenweberei befasst.
 
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Bildquelle: www.silkmuseum.gr 

Eine neuere Ergänzung zu den Seidenmuseen in Soufli ist das Seidekunstmuseum, das zu den Seidenfabriken der Tsiakiris-Familie gehört. Im September 2008 in einem renovierten neoklassizistischen Gebäude (1886) an der Hauptverkehrsstraße der Stadt eröffnet, zeigt es die gesamte Sequenz der Seidenraupenzucht (mit lebenden Seidenraupen für die meiste Zeit des Jahres) und die industrielle Seite der Seidenherstellung und -weberei mit voll funktionsfähigen Maschinen und Exponaten aus der Tsiakiri-Fabrik sowie Videos zu den verschiedenen Produktionsschritten und -methoden. Das Museum bietet sowohl Live- als auch elektronisch unterstützte Führungen in mehreren Sprachen.

Introbild: Soufli /Quelle: www.soufli.gr

EG

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