Giannoulis Halepás ist gewiss der bedeutendste griechische Bildhauer des vorigen Jahrhunderts. Sein Leben kann man ohne Übertreibung als tragisch bezeichnen. Umso mehr muss man jedoch die Bedeutung seines hervorragenden und einzigartigen Werkes würdigen, das unter enormen Schwierigkeiten im Laufe eines langen, wechselhaften Lebens entstanden ist.  

Giannoulis Halepas wurde am 24.08.1851 in Pyrgos, auf der Insel Tinos, einer der schönsten der Kykladeninseln geboren, die bereits über eine lange Tradition in der Bildhauerei verfügte und im 19. Jahrhundert bedeutende Künstler hervorbrachte (Filippotis, Vitalis, Sohoi u.a.). Er war das älteste von sechs Kindern von Ioannis Halepas. Sein Vater war Marmorbildhauer. Er besaß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Tinos eine der wichtigsten Werkstätten für Marmorbildhauerei. Sie lief so gut, dass er auch in Athen eine zweite Werkstatt gründen konnte.

Der berühmte Satyr, einer von mehreren Versuchen.

Giannoulis Halepás studierte Bildhauerei an der Schule der Schönen Künste in Athen (1869-1872). Im Jahr 1873 setzte er mit einem Stipendium der berühmten Kirche Evangelistria sein Studium an der Münchner Akademie fort. Im Anschluss kehrte er drei Jahre später ​​ nach Athen zurück, wo er in der Werkstatt seines inzwischen nach Athen gezogenen Vaters zu arbeiten begann. Im Jahr 1877 schuf er sein berühmtestes Werk, die „Schlafende“ („Kimoméni“), eine liegende Frauenfigur, die im Gedenken einer jung verstorbenen Frau geschaffen wurde und auf ihrem Grab ruht. Wenig später zeigten sich die ersten Symptome einer Geisteskrankheit, die verheerende Folgen für sein weiteres Leben haben sollte. Ein Jahrzehnt lang, von 1878 bis zu seiner Unterbringung in der psychiatrischen Klinik auf Korfu im Jahr 1888, versuchte er vergebens zu genesen. Von 1888 bis 1902 blieb er in der psychiatrischen Anstalt auf Korfu. Da seine Krankheit als nicht gefährlich galt, wurde er entlassen und von seiner Mutter zurück nach Pyrgos gebracht, wo er Jahrzehnte lang lebte. Das Zusammenleben mit seiner Mutter gestaltete sich für ihn sehr schwierig, weil sie fest davon überzeugt war, dass seine Kunst die Ursache für sein Leiden war und ihn zugrunde richtete. Um ihren Sohn zu „schützen“, vernichtete sie die von ihm während dieser Zeit geschaffenen Werke von unschätzbarem Wert. Als sie 1916 starb, war dieser Einschnitt im Leben von Giannoulis Halepás zugleich auch eine Befreiung.

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Zeichnung von Giannoulis Halepás

Ab diesem Zeitpunkt fing Halepás allmählich an, sich selbst wieder zu finden. Die Rückkehr zu einem schöpferischen Leben war sehr mühsam, aber es gelang ihm wieder Werke zu schaffen, welche die Aufmerksamkeit bald auf sich gezogen haben. Im Jahr 1925 fand eine Ausstellung seiner Werke in der Akademie von Athen statt, von der er 1927 mit einem Preis ausgezeichnet wurde. 1928 folgte seine zweite Ausstellung in Athen. Im Sommer 1930 brachte ihn seine Nichte Irini B. Halepá nach Athen, wo er fortan bis zu seinem Tod am 15.09.1938 lebte und arbeitete – zum ersten Mal völlig ungestört.

Fünfzehn Jahre nach der Würdigung seines Werks in der Nationalgalerie in Athen wird die Ausstellung „Gianoulis Halepás: Geben und Nehmen“ in der Telloglion Foundation of Arts in Thessaloniki, koproduziert mit dem Onassis Culture Center, stattfinden. Die Eröffnung der Ausstellung ist für den 18. Februar vorgesehen. Es werden mehr als 150 Werke des großen Bildhauers ausgestellt, von denen einige noch nie zuvor öffentlich gezeigt wurden.

Ausgangspunkt der großen Hommage an Gianoulis Halepás ist der jüngste Erwerb einer großen Sammlung von Skulpturen und Zeichnungen durch die  Onassis Foundation. Dies sind Werke, die den Nichten des Künstlers gehörten, die ihn von  Tinos  nach  Athen brachten, wo er in den letzten acht Jahren seines Lebens mehr als 40 Werke und viele Zeichnungen schuf.

„Wir erinnern uns an all seine Arbeiten, seine ständig wiederkehrenden Themen und Motive, mit denen er sich ständig beschäftigt, um die Entwicklung seiner Kunst zu sehen“, sagte neulich einer griechischen Zeitung die Leiterin von Telloglion und Kuratorin der Ausstellung Alexandra Goulaki-Voutyra. Gestalten der griechischen Antike, Medea, Satyr und Liebe, Hermes, Aphrodite, Porträts und Themen mit Gestalten des Alltags, aber auch religiöse Szenen bilden den thematischen Faden in der Ausstellung.

Der Schwerpunkt liegt auf seinen frühen Werken, insbesondere auf weniger bekannten, wie den beiden Grabdenkmälern, die sich auf dem Bellu-Friedhof in Bukarest befinden. Es werden jedoch zum ersten Mal die Zeichnungen des Künstlers in die Buchhaltungsunterlagen des väterlichen Marmorskulpturenunternehmens gezeigt. Daher auch der Titel der Ausstellung „Geben und Nehmen“.

Hal3Eines der letzten Fotos von Giannoulis Halepás in Athen.

Die Kuratorin erläutert: „Im gesamten Werk von Giannoulis Halepás scheint das wechselseitige Geben und Nehmen fatal zu sein, um den Prozess seines kreativen Kurses zu bestimmen, und beweist die Kraft der Gegenseitigkeit im künstlerischen Bereich“. „Nehmen“, also Leihgaben, Berichte, Einflüsse aus Werken der väterlichen Werkstatt oder anderer mitwirkender Künstler oder aus antiken Werken. Aber auch „Geben“, d.h. seine eigene Neuschöpfung, neue und originelle Schöpfungen in der väterlichen Werkstatt, wie die Kimomeni, Satyros und Eros, die Statue einer Tochter (Tinos-Turm), das Grab der Familie V. Fotiou usw.… Eine intensive Kreativität mit überbordender Kraft, besonders in ihren letzten Jahren, Reife, ohne Zweckmäßigkeit, externe Kompromisse bei Moden, Modernismen oder Stilen. In seiner Arbeit scheinen die inneren Prozesse der Wahlfreiheit und des Ausdrucks, die das echte Schaffen in der Kunst charakterisieren, endgültig verdichtet zu sein“.

Für Alexandra Goulaki-Voutyra ist Giannoulis Halepás „ein Symbol der Wiedergeburt, da er verschwindet und doch an der Oberfläche wieder auftaucht“. Dieser künstlerische Prozess, dieser Märtyrerweg wird durch die Werke der Ausstellung hervorgehoben. Sie stammen aus den Sammlungen der Onassis Foundation und der Telloglion Stiftung, aber auch aus dem National Gallery–Museum of Alexandros Soutsos, der Foundation of Tinian Culture (ITIP) von Tinos, aus dem Museum von Giannoulis Halepás in Pyrgos und aus Privatsammlungen. Während der Ausstellung, die bis zum 5. Juni dauern wird, werden auch Begleitveranstaltungen wie Theater- und Musikveranstaltungen, Vorträge, Führungen und Vermittlungsprogramme angeboten.

Giannoulis Halepás, „Geben und Nehmen“,

Teloglion Foundation of Arts, Ag. Dimitrioustr. 159A, Thessaloniki,

Ausstellungsdauer: 18. Februar – 5. Juni 2022

Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag, Freitag 9.00-14.00, Mittwoch 9.00-14.00 & 17.00-21.00, Samstag und Sonntag 10.00-18.00 Uhr.

Introbild: Eins der letzten Fotos von Giannoulis Halepás in Athen.

(AL)