Bio: Die Regisseurin Kostoula Tomadaki hat einen Bachelor-Abschluss in Politikwissenschaft und öffentlicher Verwaltung von der Universität Athen, einen Postgraduiertenabschluss von der Fakultät für Soziologie der Universität Athen sowie einen Doktortitel zum Thema „Medien und Ideologie in Griechenland“. Darüber hinaus hat sie einen Abschluss in Regie von der Stavrakos-Filmschule. Sie arbeitete fünf Jahre lang als investigative Journalistin in der Abteilung für Nachrichten- und Informationsprogramme des Staatsfernsehens ERT1. Sie arbeitete etwa zehn Jahre lang als Regisseurin für dramatisierte Serien, Dokumentarfilmen und Shows beim Staatsfernsehen ERT. Sie führte bei zahlreichen Filmen Regie und wurde für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet.  Ihr Dokumentarfilm „ Die Mutter der Station “, 2022 (produziert von: Hellenic Film Center, ERT, Gina Petropoulou) wurde auf 50 internationalen Festivals weltweit gezeigt und erhielt zehn Preise sowie zahlreiche Auszeichnungen. Kostoula Tomadaki ist außerdem Autorin von Kinder- und Jugendliteratur.

Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März sprach die Regisseurin und Schriftstellerin Kostoula Tomadaki mit Graktuell.gr über ihren jüngsten Dokumentarfilm ‚Die Mutter der Station‘ und die griechischen Einwanderinnen in Deutschland in den 60er Jahren.

Panagiota Ainatzi-Archiv

1. Mit Ihrem Dokumentarfilm „Die Mutter der Station“ («Η Μητέρα του Σταθμού») werfen Sie erstmals Licht auf einen wichtigen Aspekt der National- und Sozialgeschichte Griechenlands, der bisher im Dunkeln blieb. Was hat Sie dazu inspiriert, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, das jüngeren Griechen weitgehend unbekannt ist? Wie schwierig war es, Material zu sammeln und sich ein Bild vom Leben und der Reise dieser unsichtbaren griechischen Frauen zu machen?

Manchmal kommen einem Geschichten in den Sinn, ohne dass man sich in diesem Moment völlig darüber bewusst ist. Es könnte sich um Bilder oder um eine vergessene Erinnerung handeln. Ich erinnere mich an meine Kindheit, als ich die Sommerferien im Dorf meiner Mutter, Kleitoria in Kalavryta (Peloponnes), verbrachte. Ich erinnere mich an die Sommer, in denen ich mit den Kindern von Einwanderern spielte, von denen einige bei ihren Großmüttern im Dorf blieben, als ihre Eltern nach Deutschland gingen, um in Fabriken zu arbeiten. Mein kindlicher Verstand konnte nicht begreifen, wie Mütter so lange von ihren Kindern entfernt leben konnten. In den Jahren der Wirtschaftskrise in unserem Land sah ich eine Anzeige, in der ein Krankenhaus in München griechische Ärzte suchte.

Das war der Zeitpunkt, an dem ich begann, in Archiven über die griechische Einwanderung nach Deutschland zu recherchieren. Ich war erschüttert von der Tatsache, dass es in den Archiven keine Informationen über Frauen gab, als wären sie unsichtbar. Also beschloss ich, einen Film über Frauen, die nach Deutschland ausgewandert sind, zu drehen. Ich wollte, dass die Öffentlichkeit ihre Geschichte erfährt. Das ist uns gelungen, denn der Dokumentarfilm hat an fünfzig internationalen Festivals teilgenommen, zehn Preise und viele Auszeichnungen in Amerika, Kanada, Lateinamerika, Australien und Europa gewonnen. Die Schwierigkeiten bei der Sammlung des Materials waren von Anfang an bekannt gewesen. Wir haben Material aus der Stiftung „Konstantinos G. Karamanlis“, dem Archiv für zeitgenössische Sozialgeschichte (AΣKI), der Gemeinde Gerlingen und dem Präsidenten Anastasios Rodintsis erhalten. Ich danke ihnen allen herzlich. Der größte Teil des Materials stammt aus den persönlichen Archiven von Migrantinnen, die an dem Dokumentarfilm teilgenommen haben.

Archiv von Eftychia – Alexandra Loukidou

Vor welchen inneren/emotionalen und praktischen/täglichen Herausforderungen standen griechische Einwanderinnen der ersten Generation?

Die griechischen Einwanderinnen, die in den 60er und 70er Jahren meistens aus Nordgriechenland auswanderten, standen vor Kommunikationsschwierigkeiten, da sie die deutsche Sprache nicht beherrschten, sowie vor schwierigen Arbeitsbedingungen und vor einem harten Alltag. Neben diesen Herausforderungen mussten die meisten von ihnen auch mit der Abwesenheit ihrer Kinder zurechtkommen. Für Frauen war die Einwanderung doppelt so schwer, insbesondere für Mütter, die ihre Kinder für Monate, vielleicht sogar Jahre, nicht sehen konnten – eine äußerst schmerzhafte Erfahrung.

Griechisches Gemeindearchiv Gerlingen

Wie haben die Frauen den unerträglichen Schmerz der Auswanderung und die Sehnsucht nach der Heimat und den zurückgelassenen Verwandten emotional und praktisch bewältigt?

Das Leben im Ausland war sowohl für Frauen als auch für Männer schwierig. Ihr Herkunftsland, ihr Dorf, ihr Zuhause, ihre Gemeinschaft, ihre Eltern und Kinder, die sie zurückgelassen hatten, waren Erinnerungsbilder, die die Migrantinnen einerseits zum Weinen brachten, andererseits sie dazu anregten, noch mehr für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Die griechischen Gemeinschaften, die in den 1960er Jahren gegründet wurden, um den griechischen Einwanderern eine Stimme zu geben, waren eine Quelle des Trostes.

Hochzeiten, Taufen und nationale Feiertage waren eine willkommene Abwechslung vom Alltag. Die Einwanderer versuchten, eine Verbindung zu ihrer Heimat, Griechenland, auch durch Volkslieder und Lieder der Einwanderung herzustellen. Das Lied „Bewölkter Sonntag“ wird die Schriftstellerin Elena Artzanidou, ein in Deutschland geborenes Einwandererkind, immer an die Feste der ersten Einwanderer erinner. Die Stimme des Sängers Kazantzidis scheint die Weite eines Universums zu umfassen, das danach strebt, ans Licht zu kommen.

Panagiota Ainatzi-Archiv

Glauben Sie, dass sie jemals substanziell und vollständig in die deutsche Gesellschaft und Mentalität assimiliert wurden oder sogar von der ausländischen und griechischen Gesellschaft und Realität abgeschnitten blieben?

Im Dokumentarfilm ‚Die Mutter der Station‘ werden die Zuschauer verschiedene Geschichten sehen. Ich wollte einen umfassenden Blick auf weibliche Einwanderung werfen und jeden einzelnen Aspekt sowie jede Generation beleuchten. Die Frauen, die in den 60er und 70er Jahren ausgewandert sind, waren überzeugt, dass ihre Auswanderung nur vorübergehend sein würde, nur für ein paar Jahre, und dass sie bald nach Griechenland zurückkehren würden.

Sie wollten um jeden Preis, dass ihre Kinder in Deutschland Griechisch lernen. Da es in einigen Städten keine griechischen Schulen gab, waren sie nach ihrer Schicht in den Fabriken gezwungen, kilometerweit zu reisen, um ihre Kinder in die griechische Schule zu bringen. Wir haben das Zeugnis von Panagiota Ainatzis, einer Einwanderin der zweiten Generation, die in Deutschland und Griechenland studierte, zwischen beiden Ländern lebte und als Philologin ans Gymnasium in Stuttgart zurückkehrte, wo sie selbst als junge Einwanderin studierte. Für Maria Koukouvinou, die in Deutschland geboren wurde und Kind von Einwanderern ist, war ihr Leben und ihre Schulerfahrung in Deutschland besser als in Griechenland, und sie war sehr enttäuscht, als ihre Familie nach Griechenland zurückkehrte.

Die dritte Generation von weiblichen Einwanderern, bzw. junge Frauen mit Bachelor- und Masterabschlüssen, die sich entscheiden, wo sie arbeiten und leben wollen, haben keine Probleme mit der Integration. Trotzdem ist das Heimweh nicht weg.

Elena Artzanidou-Archiv

In welcher Weise haben diese Frauen zur Entwicklung nicht nur Deutschlands, sondern auch Griechenlands beigetragen? War ihre Auswanderung nach Deutschland ein Gewinn oder ein sozialer Verlust für Griechenland?

Frau Athanasia aus dem Dorf Prosotsani, in der Nähe von Drama (Nordgriechenland), erlebte in den 60er Jahren die Auswanderung ihrer Mutter. Viel später wanderte sie selbst mit ihrer Familie aus. Ohne Historikerin oder Wirtschaftswissenschaftlerin zu sein, kommentiert sie im Dokumentarfilm: „Deutschland mag den Krieg verloren haben, gewann jedoch dennoch die ganze Arbeitskraft Europas, insbesondere die Jugend, die in seinen Fabriken arbeitete und das deutsche Wirtschaftswunder vorantrieb“. Die Einwanderer aus Griechenland und anderen europäischen Ländern, die in den Fabriken arbeiteten, waren für Deutschland ein Gewinn. Griechenland, das weiterhin von Arbeitslosigkeit geplagt war, erhielt zwar Überweisungen aus Deutschland, verlor jedoch auch Tausende junger Männer und Frauen, was sich nachteilig auf die Entwicklung und den Wohlstand des Landes auswirkte.

Panagiota Ainatzi-Archiv

Was unterscheidet vor allem auf psychologischer und emotionaler Ebene die gebildeten Frauen, die sich in den letzten Jahrzehnten aufgrund der Wirtschaftskrise und beruflicher Pläne für eine Auswanderung ins Ausland entschieden haben, von den Einwanderinnen der 60er Jahre? Inwiefern ähneln sie einander und worin unterscheiden sie sich? Erleben heutige Migrantinnen Fremdheit, Nostalgie und die griechische Identität anders als die Migrantinnen der ersten und zweiten Generation?

Mehrere Jahrzehnte sind seit diesen Abschiedsszenen vergangen, als Tausende griechische Frauen sich von ihren Familien verabschiedeten und mit dem Zug oder dem Schiff zu den Fabriken in Deutschland reisten. Heute sind die neu eingewanderten Frauen gebildet, sie beherrschen die Sprache des Ziellandes, und sie wissen nicht, ob und wann sie zurückkehren werden.

Im Gegensatz zur ersten Generation von Einwandererinnen integrieren sich die heutigen Migrantinnen relativ einfach und schnell in die deutsche Gesellschaft und stehen dabei gleichberechtigt neben anderen europäischen Frauen. Der Koffer von früher ist heute der Laptop mit Tausenden von Freunden. Was alle drei Generationen von Migrantinnen gemeinsam haben, ist ihre immense Kraft und ihr Wunsch, dass ihre Kinder in einer besseren Welt aufwachsen.

Elena Artzanidou-Archiv

Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für die Auszeichnungen, die Ihr Dokumentarfilm bisher erhalten hat? Was ist es, das die Öffentlichkeit bewegt? Glauben Sie, dass Migrantinnen unabhängig von ihrer Rasse, ethnischer Zugehörigkeit und Religion gemeinsame Erfahrungen und tägliche Kämpfe teilen?

Es war eine glückliche Überraschung für mich, als die „Mutter der Station“ in Indien als Finalistin beim Mumbai International Film Festival angenommen wurde. Dann begann eine aufregende Reise des Films zu fünfzig internationalen Festivals und dreißig Ländern. Die Kommentare in New York, Kalifornien, Houston, Chicago, Boston, London, Genf, Buenos Aires, Jaipur, Dubai, Bogotá, Costa Rica, Oaxaca und Toronto waren herzlich. Äußerst bewegend waren die Reaktionen auf die Vorführungen in Montreal, Melbourne, Maryland, Orlando und Warschau. Im Herbst wird der Dokumentarfilm offiziell in Melbourne zur Distribution verfügbar sein.

Ich konnte meine Emotionen nicht verbergen, als ich nach der Vorführung des Dokumentarfilms im Greek Film Club in Sydney mit Unterstützung von Präsident Petros Alexiou mit einigen heutigen griechischen Einwanderern ins Gespräch kam. Ich erinnere mich mit Dankbarkeit an die Reaktionen des Publikums in Italien, in der Türkei und beim Thessaloniki Documentary Festival. Ich glaube, dass das, was ein so unterschiedliches Publikum auf der ganzen Welt bewegt hat, die Kraft dieser Frauen und ihre persönliche Wahrheit ist, die eine universelle Bedeutung annimmt.

Lefteris Xanthou-Archiv

Sie haben eine breite und bemerkenswerte Tätigkeit auf dem Gebiet der Kind- und Jugendliteratur entwickelt. Das Schreiben oder Filmen ist ihre größte Liebe und warum?

Ich schreibe Jugendliteratur, angetrieben von meiner eigenen inneren Welt, die mit der Adoleszenz noch nicht die Nabelschnur durchtrennt hat. Indem ich die Ängste und Herausforderungen, die ich als Teenager durchlebt habe, in mir bewahre, kann ich durch meine Bücher Botschaften und Perspektiven aus erster Hand an Menschen weitergeben, die sich gerade in dieser Phase ihres Lebens befinden und ähnliche Gefühle erleben. Jedes Mal, wenn ein Buch, ein Bild, ein Gesicht oder ein Blick mein Interesse weckt, kehre ich zur Regie zurück. Ich schätze den Dokumentarfilm als Ausdrucksmittel, weil der Regisseur das Wesentliche beibehält und gleichzeitig den alltäglichen Menschen die Möglichkeit gibt, ihre Geschichte direkt vor der Kamera zu erzählen.

Die Regisseurin Kostoula Tomadaki

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Kostoula Tomadaki

(PS)